Freiberg- eine Nachlese

Veröffentlicht am

Von Peter Schewe

Vera Lengsfeld und ich folgten einer Einladung des Freiberger Forums zu einem Gesprächsabend im Festsaal der Stadt Freiberg.

Freiberg, die Silberstadt Sachsens ist immer eine Reise wert. Ihrer Entstehung verdankt sie dem Berggeschrei im 12. Jahrhundert, jedem stand es frei, nach Silber zu graben. Der Berg war freigegeben für jedermann, in Zeiten der feudalen Leibeigenschaft keine Selbstverständlichkeit. Diese Idee von Freiheit hat sich in der Bürgerschaft bis heute erhalten und die Stadt und ihre Bürger über manch dunkle Zeiten hinweggeholfen. Das Freiberger Forum e.V., ein Zusammenschluss Freiberger Bürger, die sich der Meinungsfreiheit und der Suche nach der Wahrheit verpflichtet fühlen, steht heute noch oder wieder dafür.

Dass die Stadtväter, allen voran ihr Oberbürgermeister, den städtischen Festsaal trotz mancher Anfeindungen der Medien dafür zur Verfügung stellen, ohne auf Inhalte des dort geäußerten Einfluss zu nehmen und auch ein russischer Botschaftsrat nebst Herrn Baab dort auftreten durften, ist für mich in heutigen Zeiten ein hoffnungsvolles Zeichen bürgerlicher Freiheit, auch wenn ich persönlich zu Putin und dem Krieg eine andere Meinung vertrete. Traurig nur, dass es nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten unserer Zeit gehört, unbehelligt seine Meinung äußern zu können. Umso mehr sind die Aktivitäten  des Freiberger Forums anzuerkennen. „Freiberg- eine Nachlese“ weiterlesen

Im Moralgefängnis – Spaltung verstehen und überwinden

Veröffentlicht am

Wahrlich, wir leben in Zeiten, in denen man sich wiederholt in den Arm kneifen muss, um sicherzustellen, dass man sich in der deutschen Wirklichkeit und nicht in einem endlosen Albtraum befindet. Da servieren uns die Qualitätsmedien Berichte über den Prozessbeginn gegen eine Rollatortruppe, die den Umsturz geplant haben soll. Wie die von einem „Experten“ hochgerechnete 20 000 Personen starke 60+-Truppe (0,03 % der Bevölkerung!) ein 84 Millionen Land mit 181000 Soldaten und fast 290000 Polizisten unterwerfen könnte, verraten uns die regierungsnahen Journalisten, denen wir vertrauen sollen, nicht.

Sind Ihnen nicht die Tastaturen beim Schreiben vor Lachen um die Ohren geflogen, fragt ein Freund. Fraglich auch, was die Chefs der Diakonie und Verdi geschluckt haben, bevor sie in der Presse verkündeten, dass AfD-Wähler in ihren Institutionen nicht erwünscht sind. Beiden Herren scheint nicht klar zu sein, dass „Wählernötigung“ nach § 108 Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die SPD-Vorsitzende Esken behauptet im Fernsehen, dass die AfD mit Goebbels vergleichbar sei und macht sich damit einer ungeheuren Verharmlosung des Nationalsozialismus schuldig. Das bleibt im woken „Wehret den Anfängen“ – Deutschland alles unhinterfragt. Was ist los in unserem Land, wo sind wir falsch abgebogen?

Diese Frage stellt sich der Philosoph und Autor Michael Andrick in seinem neuesten Buch. Dass es erscheinen konnte, so der Autor, zeigt, dass sich Deutschland bereits auf dem Weg in eine Gesinnungsdiktatur befindet, aber noch kein ausgebauter totalitärer Staat ist. Noch ist Zeit zur Umkehr. Um das zu können, muss man sich erst einmal klar werden, wo wir uns befinden. Andrick selbst nennt zwei Irrtümer, in denen er befangen war, als er das Buch zu beschreiben begann. Er war der Meinung, das Land sei gespalten und diese Spaltung sei das Ergebnis von Meinungsverschiedenheiten.

Beides ist falsch. Außerhalb von Bürgerkriegssituationen ist kein Land gespalten, weil keine der unterschiedlichen Gruppen oder sogar Subkulturen ohne die andere existieren kann. Ziel der Demokratie und damit der demokratischen Debatte ist es nicht, eine Einheitsmeinung herzustellen, sondern einen Kompromiss und damit den Ausgleich unterschiedlicher Interessen zu erreichen. Wer versucht, nur eine Meinung gelten zu lassen und Andersdenkende nicht nur aus dem Diskurs, sondern aus der Gesellschaft auszuschließen, handelt totalitär. Er schützt die Demokratie nicht, sondern demontiert sie.

Warum duldet die Mehrheit der Bevölkerung diese Demontage?

Andricks Antwort darauf wird viele erschrecken. Das Virus, das unsere Gesellschaft befallen hat, heißt Moralitis. Nach Andrick ist Moralitis ein kulturelles Virus, das die Gesellschaft schädigt, wie ein biologisches Virus den Körper. Moralitis wird durch Äußerungen verbreitet. Wird eine Mehrheit, oder auch nur eine ausreichend große Minderheit damit angesteckt, ist die ganze Kultur infiziert. In unserem Fall sitzt die Minderheit in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen von Politik, Verwaltung und Presse. Politiker, Journalisten, Lehrer, Entertainer, Professoren, Künstler und Verbandsfunktionäre prägen diese moraline Kultur. Moralisierung ist zwar eine diskursive Gewaltausübung, die körperliche Gewaltanwendung aber immer wahrscheinlicher macht. Auch das ist inzwischen Alltag. Politiker werden körperlich angegriffen, ihre Büros demoliert, ihre Autos angezündet, ihre Kinder in der Schule gemobbt, sofern sie der AfD angehören. Ab und zu trifft es auch Politiker anderer Parteien. Nur dann ist das ein Thema. Andersdenkenden wird „kein Podium“ geboten, kein Platz in der Talkshow angeboten, wenn doch, dann mit einer Mehrzahl von „Guten“ mit der richtigen Meinung.

Es geht darum, ohne jeden Kompromiss die „richtige“ Meinung durchzusetzen. Die Botschaft lautet unmissverständlich: Füge dich, oder du wirst aussortiert. Wie schnell diese Haltung ins Extreme, Totalitäre umschlägt, haben wir in der Corona-Zeit miterleben müssen. Da wurde Kritikern der Corona-Maßnahmen und Impfverweigerern nicht mehr nur verbal gedroht, sondern sie wurden bestraft: Prügel von der Polizei, Haussuchungen, Strafgelder, Jobverlust, Gerichtsverfahren, Haft. Noch bedenklicher aber ist, wie schnell sich normale Mitbürger in unerbittliche Exekutoren verwandelten: Schaffner entfernten Menschen, die nicht vorschriftsmäßig Masken trugen, aus Zügen, Amtsärzte konnten verfügen, dass die unvermeidlichen Coronatests im allerhintersten Nasenbereich schmerzhaft ausgeführt werden müssen, statt schmerzlos im vorderen, Nachbarn denunzierten ihre Mitbewohner, weil sie zum Weihnachtsessen mehr als die politisch erlaubten Gäste empfingen, Polizisten jagten schlittenfahrende Kinder, oder Jugendliche, die sich im Park trafen.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Sie zeigt aber, wie dünn die Firniss der Demokratie ist und wie schnell der Umschlag ins Totalitäre erfolgen kann. Damit legt Andrick den Finger auf die schmerzhafteste Wunde: Unser aller Anteil an der Herrschaft der Moralitis. Wer sich aus Angst oder Opportunismus beteiligt, macht sich mitschuldig. Als die DDR zusammenbrach, war das überwältigende Gefühl Scham, mitgemacht zu haben. Die gestern noch allmächtig Herrschenden waren ihrer Aura gründlichst beraubt. Warum hatte man einen „Ich liebe doch alle Menschen“ -Stasichef Mielke so gefürchtet? Es hatte doch gereicht, ihm die Legitimation zu entziehen, um ihn zu entzaubern.

Eine ähnliche Situation haben wir heute. Nachdem sich restlos alle Corona-Maßnahmen als wirkungslos und sogar schädlich erwiesen haben, sogar als bekannt wurde, dass die Politiker, die sie verhängten, sehr wohl wussten, dass sie zur Bekämpfung der angeblichen Pandemie nichts halfen, weil diese Pandemie nicht mehr war als eine leichte Grippewelle, hielt sich der öffentliche Aufschrei in Grenzen. Zu viele hatten mitgemacht. Die Aufarbeitung wird im Wesentlichen nur von der Minderheit der Corona-Kritiker gefordert. Wie kann diese Selbstfesselung aufgelöst werden? Andricks Antwort: Durch Respekt. Das ist das Einfache, was so schwer zu machen ist, denn den Wenigsten ist klar, dass Respekt nichts mit Sympathie oder Zustimmung zu tun hat, sondern nur bedeutet, dass man Andersdenkende akzeptiert, auch wenn man ihre Meinungen nicht teilt, oder sogar abscheulich findet. Welche Ansichten jemand hat, ist nicht von Bedeutung, solange er keine Verbrechen verübt. Respekt zu üben ist eine Sache der demokratischen Grundüberzeugung.

Wenn dem Regime des Moralismus die Gefolgsleute abhandenkommen und die stillen Dulder sich in öffentliche Widersprecher verwandeln, „dann zieht es sich schrittweise zurück… Je mehr gegen Moralin immunisierte Mitbürger solche diskursiven Gewalttätigkeiten zurückweisen, je schneller schwindet der zerstörerische Einfluss von Moralisierung und Demagogie auf unsere Umgangsformen dahin. Etwas Besseres kann unserer moralitisgeschädigten Demokratie nicht passieren, etwas anderes darf ihr nicht passieren.“

Michael Andrick: Im Moralgefängnis – Spaltung verstehen und überwinden.

Demokratien im Krieg – Ukraine – Eine liberal-konservative Mahnung

Veröffentlicht am

Von Philipp Lengsfeld

Demokratie, die modernste Staatsform basierend auf Freiheit und Wettbewerb ist die Staatsform, die durch Fragen von Krieg und Frieden besonders herausgefordert wird.

Der imperiale Aggressionskrieg von Putins Russland gegen die freie und unabhängige Ukraine führt dies noch mal im Brennglas vor – politisch fest verortet im liberal-konservativen Lager möchte ich mit dieser Positionierung Grundsätze festzurren, insbesondere in Abgrenzung zu rechten und linken Radikalen. Guter Anlass ist die von mir sehr begrüßte Freigabe der Ukraine-Mittel durch den US Congress, wo Speaker Mike Johnson, Republikaner nach länger Abwägung in die Offensive geht, auch unter Gefährdung seiner eigenen Position.

Der wichtigste Punkt gleich zu Beginn: Demokratien führen keine Angriffskriege, Demokratien führen keine Expansions-, Vertreibungs- und erst recht nicht Vernichtungskriege. Der Kerngedanke des freien und demokratischen Europa ist ein friedliches Zusammenleben der Völker. Mit unseren transatlantischen Verbündeten hat das demokratische Europa zusammen mit der Türkei ein Verteidigungsbündnis der freien Welt, die Nato. Jeder Staat, der diesem Verteidigungsbündnis beitritt stärkt die freie, westliche Welt – dass durch Putins Krieg jetzt Schweden und Finnland Mitglieder der Nato sind, ist ein guter, vom Aggressor garantiert so nicht intendierter Effekt – das klassische Paradoxon von Autokratien: Sie erreichen durch ihre Handeln oft genau die Effekte, gegen die sie die ganze Zeit agitieren. Die Nato sollte perspektivisch auch auf die demokratischen Kräften in Asien ausgedehnt werden – Südkorea, Japan und Taiwan sind drei zentrale Säulen von Freiheit und Demokratie in Asien.

Die Aggression von Putins Russischer Föderation, befeuert von einer nationalistischen Staatskirche gegen die freie und unabhängige Ukraine zielt über die angegriffene Nation hinaus auf Europa und die Nato – wird die imperiale Aggression nicht gestoppt sind die nächsten Ziele, die Polen haben uns eindringlich gewarnt: Moldau, die baltischen Staaten, Polen und danach Deutschland. Es liegt offen zu Tage, dass wir keine Angst davor haben müssen „Kriegspartei“ zu sein – wir sind es längst: Der Angriff gilt der freien Welt und zwar vom ersten Tage an. „Demokratien im Krieg – Ukraine – Eine liberal-konservative Mahnung“ weiterlesen

Axel Krause: Maler des Liberalismus in Lichtblau

Veröffentlicht am

Von Lothar W. Pawliczak

Rezension zu Axel Krause: BlauPause. edition buchhaus loschwitz. Dresden 2024

Gibt es Gemälde des Liberalismus, kann man einen Maler so bezeichnen? Warum nicht? Wenn man Lucas Cranach den Jüngeren als Maler der Reformation, Caspar David Friedrich als „Gedankenmaler der Romantik“ bezeichnen kann, wenn Kandinsky und andere als Maler der Avantgarde bezeichnet werden, dann ist auch liberales Malen möglich. Als Kunstliebhaber, ohne Experte zu sein, kann und will ich jedoch keine Interpretationen von Axel Krauses Werk geben. Jeder hat wohl eine andere Deutung von Kunstwerken, andere Assoziationen, entnimmt dem andere Anregungen. Die Erörterungen von Hans-Joachim Maaz und Sebastian Hennig zu Axel Krause (S. 7-9) stehen für sich, bedürfen keines Kommentars.

Axel Krauses Werke sind, wie er selbst schreibt, „Bildfindungen; in Tagträumen“ (S. 5), „Schwingungen des Unbewußten [wandern] vom Maler zum Betrachter“ (S. 42). Texte, die er gelegentlich zu seinen Bildern formuliert, sind wie seine Gemälde vielfältig assoziierend, interpretativ wie kommunikativ offen. Und das ist auch gut so! Und notwendig! Denn „das, was wir Kunst nennen, ist immateriell. Es ist die entstehende Resonanz im Rezipienten, die vollzogene geistig-sinnliche-emotionale Kommunikation zwischen (mindestens) zwei Menschen.“ (S. 83) Das Kunstwerk wird erst mit dem Rezipienten, dessen Assoziationen und Interpretationen des Gesehenen, Gelesenen oder Gehörten, die an die des Künstlers anknüpfen, aber über sie hinausgehen, vollendet. Da stimmt der liberale Ökonom zu: So wie jedes Produkt erst im Bedürfnis vollendet ist. Mißlingt in der Marktwirtschaft der Verkauf, war die Arbeit verschwendet (Seite 84 kann man ein paar treffende Sätze eines Künstlers zur Wertbildung aufgrund der Nachfrage lesen, der die Grenznutzentheorie wahrscheinlich nicht umfänglich kennt.). Wird dem Künstler der Zugang zu Rezipienten be- oder abgeschnitten, wird Kunst vernichtet (Axel Krause weiß, wovon er da mit einer leichten Andeutung Seite 83 redet und wir wissen es auch.). Und wenn er formuliert, „Kunst ist immer ein Modell“ (S. 82), stimmt der Philosoph zu: Wie die Wissenschaft, die Modelle produziert, um die Wirklichkeit ein wenig besser zu verstehen.

Axel Krause gibt in einem resümierenden Text Schlüsselbilder (S. 120-123) Hinweise zu Entstehung und zur Bezugnahme einiger seiner Werke aufeinander. Das ist anregend, Weiteres zu entdecken, „weitere Geschwister“ zu diesen Werken und natürlich auch Hommagen an Edward Hopper (nicht nur dort, wo es im Bildtitel steht) und anderen Künstlern, Annäherungen, Bildzitate, Schauspieler, die auf den Gemälden eher etwas verkörpern als daß sie porträtiert sind.

Ich will Anderes, Einfacheres erwähnen, was ich entdeckt habe: Die Figuren, eigentlich immer im Bild voneinander isoliert, blicken oft von Terrassen weit in den Bildhintergrund (S. 4, 13, 17, 24, 26, 40, 41, 53, 54, 57, 58, 59, 60, 67, 68, 69, 77, 85, 87, 122, 123) und es müssen vermutlich weitere Terrassenbilder gemalt werden, meint Axel Krause Seite 122. Wir sehen diese Figuren von hinten, wissen nicht, wie sie wirklich die Welt betrachten: aufgeschlossen, kritisch. neugierig, romantisch, verklärend? Eine Balustrade, ein Gitter, mitunter auch ein Fenster schließt sie gegen die Welt ab, in die sie blicken. Es ist eine weite, lichte Welt ohne trübende Atmosphäre (Womit nichts gegen die atmosphärische Perspektive gesagt werden soll.). Die Luft ist oft hell, streublau, ganz anders das frühe Atelierbild aus seiner Studienzeit, wo das Licht von außen kalt, ja eisig ist. Dort noch, in Das Atelier arbeiten die beiden jungen Künstler ohne Zuschauer „in Front zueinander und miteinander […] ihre Vitalität im Spiegelgefecht konditionieren[d], sehr ernst und auch etwas komisch“ (S. 121) – 24 Jahre später ist das Gefecht als Die Darbietung (S. 94) draußen und die Frau blickt in dessen Richtung an den Kämpfern vorbei.

Die Figuren in den Bildern schauen sich selten an, schauen meistens aneinander vorbei, sind wie – gegen ihren Willen? – hingestellt. Auch wenn sie aus dem Bild herausschauen, blicken sie den Betrachter nicht an. Der Mann, der mit strengen Blick durch das Fenster zum Nebenraum des Musikzimmer (S. 90) auf uns schaut, und vor allem das übergroße Porträt in Lichtjahr (S. 63) ist eine Ausnahme: Die Schauspielerin, halb über die Schulter gedreht, hinter ihr eine gewundene Treppe zu einer Balustrade, schaut mit klarem, vielleicht fragenden Blick auf den Betrachter. Sie schaut nicht in den Raum, wo eine Frau mit einer Taschenlampe – suchend, aber nicht zum Naheliegenden, sondern in die Ferne blickend – auf einer ebensolchen Balustrade steht, zu der eine ebenso gewundene Treppe führt.

Anders die Kinder: Sie stehen oft – dahinplatziert – frontal zum Betrachter mit direktem, fragenden, vielleicht auch vorwurfsvollen, nachdenklichem Blick, statisch und zugleich in sich gekehrt und für den außen Stehenden kaum zugänglich (S. 17, 35, 46, 59, 79, 91, 93, 103). Sehen sie durch uns hindurch? Sind die Kinder die Hoffnung?

Die Hoffnung ist, daß man nicht wissen kann, was die Zukunft bringt. Wer behauptet, das von ihm Gewollte sei der Fortschritt, ist entweder ein Illusionist oder ein unverschämter Demagoge. „Wohin weiß man erst, wenn Ankunft droht. Entwicklung bleibt ein Abenteuer, ob Solo oder im Duett, mit schwarzen oder weißen Rollen. Ein feierlicher Akt im trivialen Dasein, solange der Gestaltungswille trägt! Hoffen wir auf dessen Unerschöpflichkeit als wesentlichstes Element!“ (S. 36)

Gelobt sei schließlich das Layout, gestaltet von Caroline Kober und Axel Krause. Und die Herausgeberin des prächtigen Buches für den Druck auf griffigem Papier, der die Gemälde präzise und ohne überflüssigem Glanz wiedergibt: Susanne Dagen. Danke!

Sainte Chapelle und Conciergerie – Die Schöne und das Biest

Veröffentlicht am

Es ist kaum ein größerer Gegensatz denkbar, als der, den man in Paris auf der Île de la Cité in einer Entfernung von höchstens 100 Metern findet: Die wohl schönste gotische Kathedrale der Welt, ein Schrein mit bezauberndem farbigen Licht, und die Conciergerie, eines der größten Gefängnisse der Welt, wo die Opfer des Terrors der Französischen Revolution auf ihre Hinrichtung mit der Guillotine warten mussten.

Wenn man die Chapelle betritt, stockt einem der Atem. Farbiges Glas und Stein umschließen das in allen Farben leuchtende Tageslicht. Dieses Meisterwerk der Hochgotik ist ein Zeugnis der Kunst der Pariser Werkstätten und gab schon den Zeitgenossen den Eindruck, eine „der schönsten Kammern des Himmels“ zu betreten. Das schützte den von Ludwig IX., dem „Heiligen“, geschaffenen Aufbewahrungsort für Passionsreliquien nicht vor der Zerstörungswut der Revolutions-Terroristen von 1791-1794, die in ganz Frankreich verheerende Verwüstungen an Burgen, Schlössern, Kirchen und Klöstern anrichteten. Als die Restaurierungsarbeiten 1840 begannen, beseitigten die Restauratoren nicht nur die Revolutions-Schäden, sondern stellten auf Anraten von Eugène Viollet-le-Duc den Zustand des 13. Jahrhunderts stilgetreu wieder her. Dafür wurden gründliche archäologische Forschungen angestellt und alle später hinzugekommenen Elemente entfernt.

Die Sainte Chapelle ist die gotische Umsetzung der karolingischen Pfalzkapellen, deren berühmtestes Beispiel der Aachener Dom ist. Der Name des Baumeisters wird in keiner Urkunde erwähnt, sodass dem königlichen Auftraggeber der alleinige Ruhm zufällt. Aber die Glasfenster, die das zauberhafte Licht erzeugen, das bis heute alle Besucher fasziniert, kann man sich nicht vorher ausgedacht haben. Es muss durch Versuch und Irrtum während der Bauphase entstanden sein. Jedenfalls ist es ein Dokument des kompromisslosen Strebens nach Schönheit des viel und zu Unrecht geschmähten Mittelalters.

In der Conciergerie manifestiert sich dagegen dessen dunkle Seite, obwohl auch hier schön gebaut wurde, was man am Kreuzgewölbe des Aufenthaltssaals für zweihundert Wachleute sieht. Selbst hier findet man Kunst am Bau, wovon Wandreliefs zeugen.

Foto: Sven Lingreen

In der Küche mit vier Herden wurde täglich für 2000 Leute gekocht. Das Elend dokumentiert sich in den Zellen, wo tausende Gefangene auf ihren Tod warten mussten. In der Conciergerie wurde nicht hingerichtet, sondern die Opfer der Revolution wurden auf Karren zur Hinrichtung auf dem „Platz der Revolution“, heute Place de la Concorde, gefahren. Die berühmteste Gefangene war Marie Antoinette, die nicht in einer normalen Zelle, sondern in einer Kapelle eingesperrt wurde. Als sie noch Königin war, hat sie sich gern mit den Künstlern und Philosophen umgeben, die geistig den Sturz der Monarchie vorbereiteten. Wenn ich mich nicht täusche, hat Lion Feuchtwanger in „Die Füchse im Weinberg“ beschrieben, wie Marie Antoinette Louis XVI. überredete, die amerikanischen Rebellen finanziell zu unterstützen. Das hat sie nicht vor einer Anklage wegen „Hochverrats“ geschützt. Sie musste, wie Monate vorher ihr Gemahl, die Guillotine besteigen. Zur bitteren Ironie der Geschichte gehört, dass Louis XVI. an der Verbesserung der Mordmaschine mitgewirkt hat. Als ihm der Erfinder sein Werk vorstellte, mit glattem Messer, griff der König zur Feder und malte ein schräges Messer, welches dann so gebaut wurde.

Maximilien Robespierre, der Chefankläger des Revolutionstribunals, der tausende Menschen aufs Schafott schickte, war, solange die Monarchie bestand, ein lauter Gegner der Todesstrafe. In der Conciergerie sieht man einen Kupferstich, wie er, elegant gekleidet und mit abgewandtem Kopf, das Mordinstrument selbst bedient. Am Ende musste auch er die Guillotine besteigen, weil die Mitglieder des Tribunals keine andere Möglichkeit sahen, dem Tod zu entkommen. Damals entstand das Wort: Die Revolution frisst ihre Kinder. Die Französische Revolution hat nicht nur Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern auch den revolutionären Terror in die Welt gebracht. An den Folgen leiden wir noch heute.

Foto: Sven Lingreen

UN-Bericht warnt vor Unruhen wegen grünem Wasserstoff

Veröffentlicht am

Von Dagmar Jestremski

Ein aktueller Bericht der UN-Organisation „United Nations Industrial Development Organisation“ (UNIDO) und der „International Renewable Energy Agency“ (IRENA) deckt auf, dass die Bestrebungen einiger Industrieländer, darunter Deutschland, Verträge mit Drittweltländern zur Produktion von sogenanntem grünen Wasserstoff abzuschließen, von Teilen der Bevölkerung in diesen Ländern abgelehnt werden. Der Text mit der Überschrift „Wasserstoffindustrie – eine Umdeutung des Narrativs“ erhellt den Anlass des Berichts im Untertitel: „Grüner Wasserstoff stößt auf Widerstand in den Entwicklungsländern, weil er fast ausschließlich für den Export in reiche Länder bestimmt ist.“ Den Inhalt des Berichts reflektiert ein Artikel, der am 8. Februar auf dem Portal „hydrogeninsight.com“ veröffentlicht wurde. Die beiden internationalen Organisationen warnen vor „öffentlichem Widerstand“ gegen derartige Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern, im Klartext: Wegen der bereits geschlossenen Wasserstoffallianzen zwischen einigen reichen Industrienationen und den Regierungen ärmerer Partnerländer sei mit innenpolitischen Unruhen in diesen Ländern zu rechnen. Die Bundesregierung sollte die Warnhinweise ernst nehmen. Deutschlands Energiesystem wird zurzeit auf eine als „grün“ bezeichnete Wasserstoffwirtschaft auf Basis von Wind- und Solarstrom umgestellt. Die Versorgung mit Wasserstoff soll zu 70 Prozent durch Importe aus Übersee gesichert werden. Derartige bereits geschlossene Verträge und Vorverträge werden jedoch von der lokalen Bevölkerung der ärmeren Länder nicht zuletzt aufgrund eines inhärenten und neu angefachten Misstrauens zwischen Zivilgesellschaft und staatlicher Ebene misstrauisch beobachtet. Beispielsweise wird den staatlichen Stellen in Namibia Intransparenz und Korruption vorgeworfen.

Auch Kanada ist „Wasserstoffpartner“ Deutschlands. Bei den Einwohnern Neufundlands sind insbesondere die Mega-Windparks verhasst, die auf der Insel vor der Nordostküste Kanadas für die Erzeugung von „grünem“, für den Export bestimmten Wasserstoff entstehen sollen. Doch darauf geht der Report des Duos nicht ein – möglicherweise, weil in Kanada kein Aufruhr droht, wenn die Einwände der Naturschützer und Bürgerinitiativen vom Energieministerium nicht anerkannt werden, was bisher der Fall ist. Während in Deutschland bereits die ersten größeren „grünen“ Wasserstoffprojekte wegen Unrentabilität aufgegeben werden, könnte die deutsche Wasserstoffstrategie insgesamt, die über ein Dutzend Länder in Übersee mit einbezieht, durch die im vorliegenden Bericht umrissene Entwicklung hinfällig werden. „UN-Bericht warnt vor Unruhen wegen grünem Wasserstoff“ weiterlesen

Der geniale Rodin und die ebenbürtige Claudel

Veröffentlicht am

Wer nach Paris kommt, sollte unbedingt einen Besuch im Musée Rodin einplanen. Sein Haus, eher ein kleiner Palast und Garten, sind zu einem Gesamtkunstwerk verschmolzen, weil sie vom Geist Auguste Rodins durchdrungen sind. Wie kann ein einzelner Mensch so viele Werke schaffen, wie hier zu sehen sind, im Wissen, dass hunderte andere in der ganzen Welt verteilt sind?

Stefan Zweig beschrieb im Jahr vor seinem Tod einen Besuch bei Rodin, als er ein junger Mann war. Er war zum Mittagessen geladen und wurde am Ende des Mahls gefragt, ob er die neueste Arbeit im Atelier sehen wolle. Zweig wollte. An der Ateliertür zog Rodin automatisch seinen Arbeitskittel an und führte Zweig zu einer verhüllten Frauenstatue. Rodin zog das Tuch weg und sagte versonnen, die Figur sei perfekt. Als er mit seinen Händen über den Stein strich, bemerkte er doch einen unsichtbaren Fehler und begann, ihn zu beheben. Er vergaß den hinter ihm stehenden Gast – erst als er nach zwei Stunden mit seinem Werk zufrieden war, erinnerte er sich an Zweig und bat ihn um Entschuldigung. Zweig hatte in diesen zwei Stunden begriffen, was Größe ausmacht: Die absolute Hingabe an das Werk. Rodin soll bis zu 16 Stunden am Tag gearbeitet haben. Wann er Zeit für alles andere, zum Beispiel seine vielen Geliebten, hatte ist ein Rätsel. „Der geniale Rodin und die ebenbürtige Claudel“ weiterlesen

Père Lachaise

Veröffentlicht am

Der Friedhof Père-Lachaise ist heute der größte innerstädtische Friedhof von Paris und einer der größten und bekanntesten der Welt. Ursprünglich 1804 außerhalb der Stadt auf hügeligem Gelände angelegt, weil eine Verordnung die Weiterbenutzung der städtischen Friedhöfe verbot, ist er längst wieder von der Stadt umschlossen. Auf dem Père Lachaise sind mehr als 500 prominente Persönlichkeiten begraben, und es kommen immer noch welche hinzu, denn Père-Lachaise ist nach wie vor ein aktiver Friedhof. Das zieht Besucher aus aller Welt an. Mehr als dreieinhalb Millionen Besucher sind es jedes Jahr. Damit ist er der meistbesuchte Friedhof der Welt.

Jetzt sind wir da. Wir betreten das Gelände durch einen Seiteneingang, gemeinsam mit etwa einem Dutzend Menschen aus aller Welt. An einer Hinweistafel kann man den Lageplan und die Prominentenliste scannen und seinen Besuch planen. Auf unserer Liste stehen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Honoré de Balzac, Victor Hugo, Frédéric Chopin, Victor Noir und Jim Morrison. Das führt uns kreuz und quer über das Gelände.

Der erste Eindruck ist der von Vergänglichkeit. Hier gibt es kaum einfache Grabsteine, sondern Grabkapellen mit schönen schmiedeeisernen Türen und Fenstervergitterungen. Stein und Eisen befinden sich in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls. Die Türen sind teils geöffnet, hängen nur noch an einer Angel oder sind rostzerfressen ins Innere gefallen. Auch ganz zusammengesackte Kapellen sind zu sehen. Dazwischen immer wieder neue Gräber der Nouveaux Riches, nicht mehr mit Kapellen, sondern mit überlebensgroßen Statuen oder mit dem bebaut, was als moderne Grabkunst angesehen wird. Ursprünglich war das Ganze als Friedhofpark geplant, inzwischen stehen die Gräber dicht an dicht. Nur rund um das Krematorium und die Trauerhalle gibt es noch etwas Raum. Zwischen und auf den Gräbern haben sich Pflanzen aller Art angesiedelt: Zimbelkraut, Ruprechtskraut, einjähriges Silberblatt, Farne, Moose sorgen für die nötige Romantik. Viele Gräber haben steinerne Urnen mit Dauerbepflanzung. Tiefblaue Schwertlilien scheinen dafür am beliebtesten zu sein. Sie haben sich aus den Urnen heraus auf die Zwischenräume verbreitet. Wir haben das Glück, alle genannten Pflanzen in voller Blüte zu erleben. Besonders das Blau zwischen dem zarten Frühlingsgrün der ausschlagenden Büsche und Bäume setzt tolle Akzente. „Père Lachaise“ weiterlesen

Das “tote Pferd” ist sehr lebendig

Veröffentlicht am

Von Hans Hofmann-Reinecke

Vergangene Woche hat die Internationale Atomenergie Behörde (IAEA) Vertreter von Industrie und Politik aus interessierten Nationen zu einer Konferenz nach Peking eingeladen. Themen waren die Entwicklung zukünftiger Technologien und die weitere Verbesserung der Betriebssicherheit von Kernkraftwerken. Die stellvertretende Generaldirektorin der IAEA, die Französin Lydie Evrard, beschrieb bei der Eröffnung die Situation der Kernenergie mit klaren Worten:

„Der sichere und zuverlässigen Betrieb der bestehenden Kraftwerke zum Schutz von Mensch und Umwelt hat höchste Priorität. Auf dieser Grundlage wird die Nuklearindustrie neue Designs, wie etwa die kleinen modularen Reaktoren entwickeln. Das wird dazu beitragen, die beabsichtigte Verdreifachung der Kernenergie und das Ziel von Net Zero bis 2050 zu erreichen“. „Das “tote Pferd” ist sehr lebendig“ weiterlesen

Musée des Cluny – Eine wahre Perle von Paris

Veröffentlicht am

Das Musée de Cluny ist allein eine Reise wert. Das liegt schon an seiner bemerkenswerten Baugeschichte. Als Paris noch das römische Lutetia war, wurde hier eine Therme errichtet. Teile des ehemaligen Frigidariums und eines benachbarten Raumes sind heute noch erhalten. Es ist das bedeutendste römische Gemäuer nördlich der Loire. Im 15. Jahrhundert bauten die reichen Äbte von Cluny einen gotischen Palast auf den römischen Überresten. Im südlichen Teil gründete der Cluny-Orden 1269 ein Kolleg, dem später eine Unterkunft für die Studenten beigefügt wurde. Noch später folgten zwei Privatwohnungen in einem der ersten städtischen Häuser mit Vorgarten, Hof und Garten hinter dem Haus. Im April 1833 mietete Alexandre du Sommerard Teile des Hauses, um seine Privatsammlung von Kunstwerken aus dem Mittelalter unterzubringen. Schon drei Monate später wurde ein Gesetz erlassen, das aus dieser Sammlung das Museum Cluny machte. Als der Sohn Alexanders, Edmond du Sommerard, 1845 verstarb, verfügte das Museum über 11.000 Objekte.

Seither hat sich der Bestand ununterbrochen vergrößert. Im Jahr 1992 wurde das Museum umbenannt in Nationalmuseum des Mittelalters. Weil der Bestand aus allen Nähten platzte und Baumängel immer sichtbarer wurden, fasste man den Beschluss, das Gebäude zu restaurieren und zu erweitern. Den gelungenen Abschluss der Arbeiten kann man seit 2022 bewundern. Es gelang eine perfekte Symbiose von römischen, gotischen und modernen Bauelementen, die respektvoll die historischen Strukturen aufnehmen. Gleichzeitig wurde der Bestand völlig neu präsentiert. Die Besucher können in die 1500 Jahre alte Kunst- und Kulturgeschichte in 22 Räumen eintauchen. Wer das tut, kommt mit einem radikal veränderten Bild vom Mittelalter wieder heraus. Das allgemeine Wissen über diesen Zeitraum beschränkt sich meist darauf, eine „dunkle Zeit“ gewesen zu sein. In der Tat waren es stürmische Zeiten, mit Kriegen, Pest, Cholera, Hungersnöten und religiösem Wahn. Das 14. Jahrhundert begann in Frankreich mit einem Fluch, den Jacques de Molay, Großmeister des Templerordens, von seinem Hinrichtungsplatz aus verhängte: „Papst Clemens, König Philipp! Bevor das Jahr um ist, werdet ihr vor Gottes Richterstuhl erscheinen, um eure gerechte Strafe zu empfangen. Seid verflucht, seid verflucht, bis in die 13. Generation!“ Tatsächlich starben der Papst und der König innerhalb weniger Monate.

Letzterer hinterließ nur Töchter, die ihm nicht auf den Thron folgen konnten, und die daraus resultierenden Streitigkeiten verwickelten Frankreich und England zwischen 1337 und 1453 in einen über 100 Jahre währenden Krieg.

Trotz all dieser Härten und Hemmnisse war es eine Zeit, in der die Städte wuchsen und neben den herrschaftlichen Höfen zu Horten von Kunst und Kultur wurden, die eine ungeahnte Blüte erreichten. Wer die Exponate im Cluny anschaut, wird sehr schnell davon überzeugt, dass im Mittelalter der Zeitgeist auf Eleganz und Schönheit gerichtet war. Alle Schichten der Gesellschaft, nicht nur die so genannten Eliten, waren um Eleganz und Schönheit bemüht. Beides ist in unseren Zeiten aus dem Alltag fast verschwunden. Während unsere Vorfahren sich größte Mühe gaben, ihre Umgebung, die Gebrauchsgegenstände, ihre Kleidung so schön wie möglich zu gestalten, haben wir es heute überwiegend mit Verfall zu tun. Der Kontrast zwischen denen, die vor den Vitrinen die kunstvollen Gewänder und Frisuren, die schön bemalten Truhen und mit Schnitzereien verzierten Kämme bewundern und selbst in Schlabberkleidung und kaum frisiert herumlaufen, könnte nicht größer sein.

Wofür würde eine der wunderschönen Mägde, die auf den atemberaubenden sechs Wandteppichen der „Dame mit dem Einhorn“ abgebildet sind, denken, wenn sie einer heutigen Altersgenossin begegnen würde? Wir haben keinerlei Grund, uns über unsere Vorfahren überlegen zu dünken. Wir haben mehr Technik zur Verfügung, aber dafür sind unsere Sinne abgestumpft.

Selbst in den Kampf zog man mit prächtigen, reich verzierten Rüstungen und die Schwerter, die man zum Töten mit sich führte, waren trotzdem Kunstwerke.


Auf den Eintrittskarten sind die wichtigsten Exponate des Museums abgebildet. Eines ist die Goldene Rose, die 1330 in Avignon angefertigt wurde. Eine kunstvolle Schmiedearbeit, deren Blätter so detailgenau sind, als hätte man Originale mit Gold übergossen. Auf anderen Karten sieht man Ausschnitte aus den berühmten Wandteppichen, deren Farbigkeit sich über die Jahrhunderte erhalten hat und deren Botschaft zum Teil bis heute ein Rätsel ist.
Ein Highlight, wie man heute auf Neudeutsch sagt, ist die extravagante gotische Kapelle, die zu den Privaträumen der Clunys gehörte. Nicht nur das filigrane Muster der Säulen des Kreuzgewölbes macht sprachlos. In der Ecke gewahrt man eine farbige Emaillearbeit, die sich bei näherem Hinsehen als Tür zu einer Treppe in den Garten entpuppt.
Frankreich ist ein Garten, dieses Image hatte sich das Land spätestens ab dem 15. Jahrhundert erworben. Es galt als das irdische Eden. Das hinderte seine Künstler nicht, Anregungen aus dem Ausland anzunehmen. So hatten die Renaissance in Italien und die Flamen Einfluss auf die französischen Künstler. Cluny bietet eindrucksvolle Beispiele, wie sich unterschiedliche Kulturen gegenseitig befruchten können. Kunst überwindet die von der Politik und ihren Kriegen erzeugten Schranken. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft der Ausstellung.

Wer spontan Lust bekommen hat, das Cluny zu besuchen, sollte nicht zögern. Zur Zeit wird die permanente Ausstellung durch eine Schau ergänzt, die sich mit Frankreich zur Zeit von Charles VII. und Johanna von Orleans beschäftigt. Absolut sehenswert!

Foto: Seven Lingreen